Bremer Appell „Frieden für Rojava“ – gegen den türkischen Angriffskrieg in Rojava/Nordsyrien

Am 9. Oktober 2019 hat das türkische Militär auf Befehl des türkischen Präsidenten Erdogan mit Unterstützung dschihadistischer Söldner die Demokratische Konföderation Nordsyrien völkerrechtswidrig angegriffen. Ermöglicht wurde diese Invasion durch den Truppenabzug der US-Soldaten auf Befehl von Donald Trump. Erdogan kann diesen Krieg führen, weil bisher weder Staaten noch internationale Institutionen wirksame Maßnahmen ergreifen, um ihn zu stoppen. 

Die Demokratische Konföderation Nordsyrien, besser bekannt als Rojava, steht beispielhaft für die Vision eines friedlichen und demokratischen Mittleren Ostens. Das soll jetzt zerstört werden. In Nordsyrien ist in den letzten Jahren ein einzigartiges multiethnisches und multireligiöses demokratisches Projekt herangewachsen. Es gewährleistet das friedliche Zusammenleben von Millionen von Menschen auf Grundlage eines Gesellschaftsvertrags, der Ungleichbehandlung verbietet, Menschenrechte garantiert und zu einem ökologischen Wirtschaften verpflichtet. Die Region bietet vor allem Minderheiten einen friedlichen Lebensraum. Kurd*innen, Araber*innen, Armenier*innen, Assyrer/ Aramäer/ Chaldäer*innen, Turkmen*innen, Muslim*innen, Yezid*innen, Alevit*innen und Christ*innen bilden eine gleichberechtigte Gesellschaft. Umgeben von Ländern, die Frauen und Minderheiten unterdrücken, wurde eine Gemeinschaft entwickelt, die die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie das friedliche Zusammenleben aller Menschen umsetzt. Seit 2012 werden in der Region vom Krieg zerstörte Städte und Dörfer wiederaufgebaut und die Zivilgesellschaft hat sich trotz des Krieges in Syrien neu entwickelt. Statt hierarchischer Entscheidungsstrukturen wird eine basisdemokratische Selbstverwaltung von unten nach oben mit Delegierten- und Ko-Vorsitzendenprinzip sowie imperativem Mandat praktiziert. Bis zum amerikanischen Abzug kämpften die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) und die lokalen Selbstverteidigungskräfte (YPG und YPJ) mit internationaler Unterstützung gegen den IS, befreiten die Region und legten unter großen Opfern den Grundstein für die Entstehung Rojavas. Dafür wurden die Kämpfer*innen weltweit als Held*innen gefeiert. 

Heute fallen wieder Islamisten in die Region ein, als Bodentruppen der Armee des NATO- Staates Türkei. Die türkische Luftwaffe hat IS-Kämpfer aus Gefängnissen frei gebombt, mit Waffen ausgerüstet und in die Armee integriert. Die Folgen des wiedererstarkten IS sind schwerste Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Terror. Eine Gefahr für Rojava, Europa und die ganze Welt. 

Erdogan nennt seinen Angriffskrieg „Operation Friedensquelle“. Er bezeichnet die kurdische Selbstverwaltung als terroristische Bedrohung für die Türkei. In Wirklichkeit zielt die Invasion in das bis dahin friedliche Rojava auf die Okkupation syrischen Territoriums, die Vertreibung der Bevölkerung und die Vernichtung der kurdischen Bewegung. All das dient dem Machterhalt und -ausbau des Erdogan-Regimes. Die sogenannte „Schutzzone“ vernichtet die Lebensgrundlage von hunderttausenden Menschen. Sie ist kein Schutz, sondern der Anfang einer Besetzung. Denn trotz der ausgehandelten „Waffenruhe“ gehen die türkischen Angriffe weiter, um die Zone zu entvölkern und anschließend Dschihadisten und deren Familien dort anzusiedeln. Die Folgen einer solchen Umsiedlungspolitik sind im nordsyrischen Afrin zu sehen. Afrin wurde 2018 von der türkischen Armee besetzt, seitdem herrschen dort Willkür und Terror durch islamistische Gruppen.

Wie schon 2018 in Afrin verübt die Armee auch heute in Nordost-Syrien Hinrichtungen, Plünderungen und Leichenschändungen und setzt darüber hinaus international geächtete Chemiewaffen ein. Sie greift gezielt zivile Strukturen an, bombardiert Wohngebiete, Krankenhäuser, Trinkwasserspeicher und Staudämme. Die Folge ist eine humanitäre Katastrophe: Über 500.000 Menschen haben kein Wasser, es fehlen Nahrungsmittel, Unterkünfte und medizinische Versorgung. Hunderttausende Menschen fliehen, Zivilist*innen werden ermordet, es finden ethnische Säuberungen statt, ein Genozid droht. 

Die völkerrechtswidrige Invasion und Besetzung kurdischer Gebiete in Syrien schafft neue Fluchtbewegungen. Erdogan nutzt die Flüchtenden als Waffe: Mit der Drohung, die Grenzen nach Europa zu öffnen, erpresst er die Zustimmung der EU-Staaten zu diesem Krieg und erzwingt ihr Schweigen. Da die EU in der Migrationspolitik seit Jahren auf Abschottung und Abschreckung setzt, folgt sie der Drohung und hält am Türkei-EU-Deal fest, anstatt sich gegen den völkerrechtswidrigen Krieg zu positionieren. Schutzsuchende werden von EU und AKP gleichermaßen instrumentalisiert und zum Problem stilisiert. 

Die Bundesregierung spielt für die Politik der Türkei eine zentrale Rolle. Nur wenige Tage vor Beginn des türkischen Angriffs war Horst Seehofer in Ankara und bekräftigte die uneingeschränkte Unterstützung für die Türkei mit den aufschlussreichen Worten: “Wo immer wir unseren Beitrag leisten können, sind wir dazu bereit”. 

Innerhalb der Türkei werden kritische Stimmen unterdrückt und Journalist*innen, Politiker*innen sowie Einzelpersonen mit Repressionen bestraft. Täglich werden demokratisch gewählte kurdische HDP-Politiker*innen aller Ebenen abgesetzt, gerichtlich verfolgt und inhaftiert. Alle Parteien im türkischen Parlament, außer der HDP, sind in die Kriegspropaganda eingebunden. Es herrscht ein menschenverachtender Konsens in vielen zivilgesellschaftlichen Bereichen. Völkerrechtler*innen sind sich einig, dass Erdogan mit dem jetzigen Angriffskrieg das Völkerrecht bricht. Amnesty International sieht Hinweise auf Kriegsverbrechen durch die türkische Armee. 

Trotzdem verzichtet Deutschland auf wirksame Sanktionen und unterhält weiterhin engste wirtschaftliche und militärische Beziehungen mit der Türkei. So haben sich die deutschen Waffenexportgenehmigungen in die Türkei 2019 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. In Bremen sind namentlich Rheinmetall und Airbus ansässig; diese Firmen liefern Waffen und Logistik, mit denen in Rojava Zivilist*innen getötet werden. Außerdem arbeiten der Verfassungsschutz und der türkische Geheimdienst MIT zusammen, und deutsche Behörden kriminalisieren auf Wunsch der Türkei kurdische Aktivist*innen. 

Dadurch trägt Deutschland eine Mitschuld an der türkischen Invasion, der Vertreibung der Bevölkerung, den Massakern und Kriegsverbrechen, dem Wiedererstarken islamistischer Strömungen und der Gefährdung von Menschenrechten, Demokratie und Frieden. 

Wir bekunden unsere Solidarität mit Rojava! In einem Land, dessen Politik und Wirtschaft vom Krieg gegen Rojava profitieren, nehmen wir unsere Verantwortung als Zivilgesellschaft wahr. Nichts davon geschieht in unserem Namen oder mit unserer Zustimmung! Es geht um den Erhalt von Gleichberechtigung und selbstbestimmtem solidarischen Miteinander, um Weiterentwicklung von Ökologie und Demokratie in der Region. Das geht uns alle an! 

Deshalb fordern wir von den verantwortlichen Politiker*innen weltweit, in Europa und insbesondere Deutschland:

  • Auf allen Ebenen für das sofortige Ende der türkischen Aggression gegen Rojava und für den bedingungslosen Abzug aller türkischen Truppen zu sorgen! 
  • Die Einrichtung einer militärischen Flugverbotszone über Nordsyrien! 
  • Den sofortigen Stopp sämtlicher Waffenlieferungen an die Türkei und den Abbruch von wirtschaftlicher, militärischer und geheimdienstlicher Zusammenarbeit! 
  • Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Recep Tayyip Erdogan wegen Kriegsverbrechen und eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges! 
  • Die Anerkennung der Autonomen Selbstverwaltung in Rojava! 
  • Schluss mit der Diffamierung der Kurd*innen als Terrorist*innen! 

Bündnis Bremen für Rojava November 2019

Bisherige Unterzeichner*innen

  • Bremer Solidaritätskomitee Kurdistan 
  • Birati Bremen e.V.    
  • DIDF Türkischer Arbeiterverein Delmenhorst
  • Maja Tegeler Bürgerschaftsabgeordnete DIE LINKE
  • Dr. Nurhak Polat, Universität Bremen | Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft
  • Flüchtlingsinitiative Bremen e.V.
  • Grüne Jugend Bremen
  • Umweltgewekschaft e.V. – Regionalgruppe Bremen/Oldenburg
  • Friedensforum Delmenhorst
  • Fridays For Future Bremen
  • Arbeitskreis Kritischer Jurist_innen Bremen
  • Feministisches Frauen*streik-Bündnis Bremen
  • Seebrücke Bremen
  • Matapacos Bremen   
  • Antifaschistische Gruppe Bremen
  • Aktionsbündnis Zivilklausel durchsetzen!
  • MLPD Bremen
  • Sozialistische Alternative – SAV Bremen
  • Umsonstladen Bremen
  • altes Sportamt
  • Caillera Ultras
  • Wagenplatz Ølhafen